Anfang der 1980er Jahre – kurz nach Erfindung des Rades, aber wir wussten nicht, dass wir in der digitalen Steinzeit lebten – verbreitete sich die VHS-Videokassette auch in Deutschland. Wer einen der noch ziemlich teuren Videorekorder besaß, konnte Filme aus dem Fernsehen aufnehmen – heute kaum vorstellbar, dass man damals solchen Aufwand trieb, um einen Film zu besitzen – oder Filme abspielen, zum Beispiel „Urgh, a Music War“. Währen die Japaner nämlich die VHS-Kassette entwickelten, erfanden die Amerikaner die Punk-Musik. Gruppen wie The Stooges, die New York Dolls, Ramones oder die Dead Kennedy spielten den Rock’n Roll sehr, sehr schnell und sehr rauh. Malcolm McLaren brachte das nach England, suchte sich vier Musiker, nannte diese Sex Pistols, was anzüglich war, und den Stil „Punk“. Punk bedeutete unter anderem, dass man nur wenige Akkorde konnte. Das war nicht etwa ein Mangel, sondern wurde zum Programm erklärt. Punk war praktisch der Kern einer neuen musikalischen Jugendbewegung, aber auch ein schwarzes Loch, in dem viele Musiker als Drogentote verschwanden. Drumherum entwickelten sich viele neue musikalische Spielarten. Manche wollten nicht den alten Rockscheiß spielen, aber mehr als drei Akkorde. Und man begann, mit den ersten Personal-Computern zu experimentieren. Die jungen Leute hatten den langhaarigen Altrockern den musikalischen Krieg erklärt. Die langhaarigen Programmdirektoren der öffentlich-rechtlichen Musiksender brauchten übrigens einige Jahre, um das auch mitzubekommen.
„Urgh! – A Music War“ war eine Konzertfilm von Derek Burbidge. Der Name des Regisseurs war uns damals völlig egal, nicht aber die Musik der neuen Gruppen, die dort gezeigt wurden -die Crème de la Crème der neuen Bewegung: Dead Kennedys, The Cramps, Oingo Boingo, XTC, Devo, Echo & the Bunnymen, Orchestral Manouvres in the Dark, Toyah, Au Pairs, Fleshtones. Einige Gruppen waren schon recht populär, wie The Police, andere wirklich schräg, wie Pere Ubu oder Klaus Nomi, der als Deutscher in New York einen frühen Aidstod starb. Nein- eigentlich waren die meisten Bands völlig durchgeknallt: Devo traten mit eine Art Blumentopf auf dem Kopf auf, und gelben Overalls. Das wurde dann zu ihrem Markenzeichen. Der Film war eigentlich ein Kinofilm, erschien 1982 und zeigte Aufnahmen aus dem Jahr 1980. Später wurde der Film auf VHS kopiert. Inzwischen war 1985, Klaus Nomi schon seit zwei Jahren tot. Einen besonders beeindruckenden Auftritt hatte die US-Gruppe Wall of Voodoo. Schon der Name der Band klang geheimnisvoll. Der Sänger, Stan Ridgeway, sang in nasalem Südstaaten-Timbre. Die vier Instrumentalisten drum herum schienen einem eigenen Plan zu folgen, jeder für sich. Trotzdem machte das Ganze Sinn. Es klang wie Country & Western, aber nur manchmal.
Dann driftete der Sound ab, es gab seltsame Nebengeräusche. Marc Moreland peitschte seine Gitarrre. Man nannte das dann Cowpunk. Als Urgh! auf VHS erschien, gab es Wall of Voodoo aber in dieser Besetzung schon gar nicht mehr. Dafür ging die Band nach Europa auf Tournee.
Dies ist eine der wenigen Live-Aufnahmen in recht guter Qualität, aus dem Jahr 1982:
Stan Ridgeway hatte Mitte der 1970er Jahre in Hollywood eine Firma für Filmmusik gegründet, Acme Soundtracks. Das Büro lag gleich gegenüber eines Punkklubs. Dort er traf Ridgeway Marc Morland, Gitarrist der Punkband The Skulls. Moreland und Ridgway entschlossen sich eine eigene Band zu gründen, Wall of Voodoo. Moreland holte seinen jüngerer Bruder Bruce hinzu, der Bass spielte. Chas T. Gray bediente das Keyboard und Joe Nanini saß am Schlagzeug. 1980 nahmen Wall of Voodoo eine EP auf, die eine sehr spezielle und morbide Cover-Version des Johny Cash Songs „Ring of Fire enthielt“. 1981 folgte eine LP (=Langspielplatten aus Vinyl) namens „Dark Continent“. Auf Liveauftritten spielte die Band Coverversionen von Ennio Moricones Westernmusik, aus The Good, the Bad and the Ugly, zum Beispiel.
Mit der nächsten LP „Call of the West“, die auch den Song Mexican Radio enthielt, wurde Wall of Voodoo einigermaßen bekannt. Mexican Radio schaffte es in den Mainstram und wurde in den USA sogar ein Top 100 Hit. Heute ist der Song ein Klassiker.
I feel a hot wind on my shoulder
And the touch of a world that is older
I turn the switch and check the number
I leave it on when in bed I slumber
I hear the rhythms of the Music
I buy the product and never use it
I hear the talking of the DJ
Can’t understand, just what does he say?
I’m on a Mexican radio
I’m on a Mexican (whoa) Radio
I dial it in and tune the station
They talk about the U.S. inflation
I understand just a little
[No comprende], it’s a riddle
I’m on a Mexican radio
I’m on a Mexican (whoa) Radio
I’m on a Mexican radio
I’m on a Mexican (whoa) radio
I wish I was in Tijuana
Eating barbecued iguana
I’d take requests on the telephone
I’m on a wavelength far from home
I feel a hot wind on my shoulder
I dial it in from south of the border
I hear the talking of the DJ
Can’t understand, just what does he say?
I’m on a Mexican radio
I’m on a Mexican (whoa) Radio
I’m on a Mexican Radio
I’m on a Mexican (whoa) radio
Radio, radio Radio, radio
Radio, radio Radio, radio
I’m on a Mexican radio
I’m on a Mexican (whoa) radio
I’m on a Mexican radio
I’m on a Mexican (whoa) radio
Radio, radio What does he say?
Radio, radio Radio, radio Radio, radio…
Der einzige komplette Konzertmitschnitt, soweit ich weiß, ist dieser hier:
In den USA traten Wall of Voodoo nun als Vorband für The Residents, Devo und Oingo Boingo auf. Das Leben während der Tourneen muss ziemlich chaotisch gewesen sein, geprägt von Exzessen und Drogen. Ridgeway und Nanini verließen die Band. Vorher war auch schon Bruce Moreland ausgestiegen. Gray hatte seinen Part übernommen, Bill Noland kam als Keyboarder hinzu. Noland verließ 1983 aber ebenfalls die Band. Dafür kehrt Bruce Moreland zurück. Ein großes Bäumchen-wechsel-dich. Mit Andie Prieboy fand man einen neuen Sänger. Er war gut, konnte aber den charismatischen Stan Ridgeway nicht ersetzen. Ned Leukhardt übernahm die Drums. In dieser Besetzung machte die Band weiter und nahm so noch einige gefällige LPs auf, deren Stücke aber nicht an den frühen rohen Sound heranreichte.
Kurz nachdem ich Urgh! sah, kam die Band nach Deutschland auf Tournee. Heute ist es bequem, sich über Newsletter oder einschlägige Internetseiten über Tourneen auf dem Laufenden zu halten, damals erfuhr man davon eher durch Zufall. Das Plakat war noch ein durchaus probates Mittel, von den zukünftigen Auftritten der Bands zu künden. Manchmal stand auch was in irgendeiner Zeitung. Es gab auch Musikzeitschriften, bessere Auskunft gaben aber Szene-Magazine wie das Berliner „tip“. Jedenfalls erfuhr ich davon und erlebte magische Momente, an die ich auch heute noch, wenn auch dunkle Erinnerungen habe. Bei einem Auftritt in Aachen eilte Marc Moreland vor dem Konzert durch den Zuschauerraum und verhandelte mit dem Türsteher, weil dieser einen Freund von Moreland nicht einließ. Der Musiker trug eine Art Gehrock, den er wohl eingepudert hatte, und der im Halbdunkel beim Gehen ordentlich staubte. Sein Gitarrenspiel auf der Bühne war dann unglaublich faszinierend. In den alten Youtube-Videos bekommt man trotz der schlechten Qualität einen Eindruck, aber aus drei oder vier Metern Entfernung wurde man von der Intensität noch ganz anders gefangen genommen.
Leider hatte die Band nur eine kurze Geschichte. 1989 löste sie sich auf. Ridgeway, der auf den Tourneen 1987 und 1988 ja schon nicht mehr dabei war, hatte inzwischen eine erfolgreiche Solo-Karriere gestartet und mit „Camourflage“ einen Welthit. Moreland startete ebenfalls Soloprojekte, die aber offenbar wenig erfolgreich waren. Wall of Voodoo verschwanden, wurden Geschichte, aber die Aufnahmen leben fort und habe nichts von ihrer Magie eingebüßt. Es lohnt sich immer, die alten Stücke anzuhören.
Sehr viel später habe ich einmal nachgeforscht, was aus Marc Morland geworden ist. Da war er schon tot. Too much Rockn’Roll. Marc Moreland starb am 13. März 2002 im Alter von 44 Jahren in einem Pariser Krankenhaus an Nierenversagen nach einer Leber-Transplantation. Zuvor hatte er noch sein einziges Soloalbum aufgenommen. Die fertige CDhat er nicht mehr gehört. Seine sterblichen Überreste wurden verbrannt, die Asche auf seinen Wunsch im Pazifik, vor der Küste von Ensenada, Mexiko, verstreut. Schon 2000 war mit Joe Nanini ein anderes Bandmitglied der Wall of Voodoo-Urformation an einer Hirnblutung gestorben.
Die Geschichte der Band erzählt Stan Ridgeway in seinem Song: Talkin‘ Wall of Voodoo Blues Part 1
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