Don Giovanni ist eine der berühmten Opern von Wolfgang Amadeus Mozart. Das Libretto dafür schrieb Lorenzo da Ponte, der auch die Mozart-Opern „Le nozze di Figaro“ und „Così fan tutte“ betextete und darüber hinaus an die 40 Libretti für verschiedene Komponisten fertigte. Don Giovanni, eigentlich „Il dissoluto punito ossia il Don Giovanni“, deutsch: „Der bestrafte Wüstling oder Don Giovanni“, entstand 1787, vier Jahre vor Mozarts Tod, ist also schon etwas älter, aber durchaus noch sehr populär.
In seiner Interpretation des Stoffes für das Thalia-Theater, die 2013 ihre Erstaufführung hatte, hält sich der spanische Regisseur Antú Romero Nunes im Großen und Ganzen an das berühmte Vorbild. Die acht Protagonisten sind sogar mit Kostümen und Perücken im Rokoko-Look ausstaffiert. Die Frauen der siebenköpfigen Live-Band um Sängerin Catharina Boutari erinnern allerdings mehr an die Damenkapelle aus der Kit-Kat-Bar, mit Netzstrümpfen und kurzen schwarzen Röcken. Eine Oper ist Nunes‘ Bearbeitung des Stückes nicht, aber es gibt Musik und bisweilen auch Gesang.
Schon der Auftakt der Neuinterpretation ist mitreißend. Mirco Kreibich als Don Giovannis leidender Diener Leoporello tritt an den Bühnenrand und studiert mit dem Publikum in den ersten zehn Minuten ein paar Töne und kurze Gesänge ein. Die Zuschauer kommen rasch in Stimmung und lassen sich nach ein paar Übungen bereits dazu bewegen -rechte und linke Zuschauerhälfte im Wechsel- „I-A“ zu skandieren. Das alles erreicht Kreibach ganz mühelos allein durch seine Mimik und die Gesten eines Dirigenten. Die Kapelle kommt und dann werden auch noch die anderen Schauspieler kurz vorgestellt.
Auftritt Don Giovanni, gespielt von Sebastian Zimmler, der die Rolle nicht nur völlig ausfüllt, sondern aus der historischen Figur herausgewachsen scheint, wie aus einem zu klein gewordenen Anzug. Zimmler spielt mit dem alten Stoff und kokettiert dabei augenzwinkernd mit dem Publikum. Soeben hat er Donna Anna verführt und ersticht kurzerhand ihren Vater, nachdem er im vom Vater geforderten Degenduell um die Ehre der Tochter nicht erfolgreich war. Donna Anna schwört Rache, mehr aus Pflicht als aus Überzeugung- die historische Geschichte kommt in Gang.
Donna Anna wird von der ebenso zierlichen wie energischen Maja Schöne gespielt. Sie hat ihre vielleicht beste Szene, als Donna Annas Verlobter Ottavio ihr in einem langen aufgeregten Monolog seine Liebe gesteht. Dies ist eigentlich der große Auftritt von André Szymanski, vorher rollengerecht etwas blass, und er absolviert diesen so souverän und überzeugend, dass das Publikum ihm nach der Liebeserklärung einen Sonderapplaus gewährt. Maja Schöne aber begleitet den emotionalen Vortrag zwar stumm, aber umso ausdrucksvoller mit großen Katalog aus Gesten und überraschten Gesichtsausdrücken und Augenblicken. Das ist die Theater-Champions-League.
Das ganze beteiligte Thalia- Personal hat offenbar selber großen Spaß am Stück und dem eigenen Vortrag. Es gibt viele witzige Szenen, Klamauk und Slapstick. Cathérine Seifert als Don Giovannis eifersüchtige aber eigentlich nichtsahnende Ehefrau Donna Elvira tritt an einer Stelle auf und schmettert eine Aria, bis ihr Gatte ihre Verkabelung und eine unter ihrem Rock versteckte „Aktiv-Box“ entdeckt, aus der die Musik kommt. „Du bist so peinlich“, ruft er empört. Ist Oper heutzutage peinlich? Wenn gefochten wird, was bisweilen passiert, dann geschieht dies mit Luftsäbeln- die allgegenwärtige Kapelle sorgt für die passenden Geräusche.
Eigentlich ist das ganze Stück durchweg voller Witz und Spaß und reichlich amüsanter Anspielungen, Für weiteren Witz und Komik sorgt das streitende Paar Masetto (Bruno Cathomas) und Zerlina (Gabriela Maria Schmeide). Die beiden fetzen sich die ganze Zeit, denn Don Giovanni machte Zerlina Avancen und diese ist, obwohl verlobt, durchaus nicht abgeneigt. Warum nicht etwas Spaß haben? Allerdings lässt sich Masetto nicht ablenken und so kommt es nicht recht zum geplanten Ehebruch, oder vielleicht nur halb, oben auf dem Piano.
Sebastian Zimmlers Spiel ist raumgreifend und endet keineswegs am Bühnenrand. Er steigt ins Publikum, überquert auf den Armlehnen die Reihen und überredet eine Zuschauerin, ihn zu küssen. Dem Vorschlag folgt sie lang und innig. Theater und Realität treffen sich in der Mitte. Später setzt Zimmler/ Don Giovanni sich neben eine andere Frau im Zuschauerraum, die er sich ebenfalls vorher ausgeguckt und angebaggert hat, und schaut von dort zu, wie sein Alter Ego auf der Bühne, nun dargestellt von Mirco Kreibich, die zuvor von ihm angestifteten Verwirrungen wieder in geordnete Bahnen lenkt. Wenn Don Giovanni zuvor über sein ausschweifendes Tun in Zweifel geriet, kam der Tod, ebenfalls als Frau (Karin Neuhäuser), und ermutigte ihn zum Weitermachen.
Die Aufführung am 10. Juli 2017 fand unmittelbar nach dem schwarzen Wochenende statt, an dem am Rande des G20-Gipfels in Hamburg das Schanzenviertel von linken Chaoten und Polithooligans in Brand gesteckt und geplündert wurde, schwarz gekleidete und maskierte Horden marodierend durch Altona und Ottensen zogen und den Bürgern dort die Autos abfackelten. „Ein erotikfreies Wochenende“, kommentiert Zimmler alias Don Giovanni. Und Bruno Cathomas beschwert sich über die herbeigerufene Kapelle, die seine Abgangsmusik spielen soll: „Ihr kommt daher wie der schwarze Block!“ Theater ist immer noch aktuell.
Nach langer Pause sitzt der Text nicht immer ganz sicher. Es gibt kleine Hänger, die aber souverän überspielt werden. „Ich habe den Text vergessen“, seufzt Sebastian Zimmler einfach. An anderer Stelle passiert Gabriela Maria Schmeide das Gleiche in einem Dialog mit Zimmler. „Wer ist die Frau dahinten? Sie redet die ganze Zeit, “ verweist Zimmler nonchalant auf die Souffleuse.
Zum Ende des Ersten Teils werden „100 Frauen“ auf die Bühne gebeten. Diese verbringen die Pause dort auf einer Party mit Livemusik – ein weiterer schöner Gag. Auch nach der Pause bleibt dieser Teil des weiblichen Publikums dort und bildet eine lebende Dekoration – das Volk – für den Rest des Stückes und wird auch häufig mit einbezogen. Die reale Welt wird zur Theaterwelt.
„Don Giovanni. Die letzte Party“ ist eine unterhaltsame Uminterpretation der Mozart-Oper zum Theaterstück, im Kompatibilitätsmodus für die Pirates-of-the-Carrebean -Generation vorgetragen. Vielleicht zum Ende hin doch ein wenig zu lang geraten. Sei’s drum. Das Stück wurde zu Recht von Kritik und Publikum gefeiert.
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