Mit seinem Theaterstück „Tod eines Handlungsreisenden“ räumt der Dramatiker Arthur Miller mit dem Mythos des „American Dream“ auf, dessen Grundgedanke der ist, dass jederman in den USA durch harte Arbeit den Aufstieg zu einem besseren Lebensstandard schaffen kann, im besten Fall wird der Tellerwäscher zum Millionär.
Willy Loman (Kristof Van Boven) ist Handlungreisender und fährt täglich bis zu 1000 km, um Geschäftsabschlüsse für seine Firma zu tätigen. Doch die Geschäfte laufen immer schlechter. Nun hat ihm seine Firma sein Gehalt gestrichen, so dass er seinen Lebensunterhalt von seinen Provisionen bestreiten muss, was ihm nicht gelingt. Er leiht sich Geld, um seiner Frau vorzutäuschen, dass er noch genug verdient, verliert sich in Tagträumen und lebt in eben dieser Blase des American Dream. In Wirklichkeit ist er gescheitert. Der Traum bleibt ein Traum. Seine Sehnsucht nach Erfolg überträgt Loman auf seine beiden Söhne Biff (Sebastian Rudolph) und Happy (Rafael Stachowiak), die aber ihrem Vater im wirtschaftlichen Misserfolg nachfolgen. Biff hat ein gestörtes Verhältnis zu seinem Vater, seitdem er ihn bei einem Seitensprung erwischt hat, schafft seinen Schulabschluss nicht und verbringt nach einem Diebstahl ein Jahr seines Lebens im Gefängnis. Happy ist ein Aufschneider und verdient sein Geld als Hilfsarbeiter, „Assistent eines Assistenten eines Niemands“. In Rückblenden und Tagträumen wird das Scheitern des Willy Loman vorgeführt. In anderen Passagen ist der Zuschauer Zeuge des Konflikts zwischen dem Vater und seinen Söhnen, besonders seinem älteren Sohn Biff, der seinem Vater nach und nach die Realität vor Augen führt. Dazwischen steht Lomans Frau Linda (Marina Galic), über die man eigentlich nur wenig erfährt. Sie bestärkt ihren Mann in seinen Träumen und versucht zwischen ihm und den Söhnen zu vermitteln. Nach und nach wird sich Loman seines Scheiterns bewusst. Die Familie ahnt, dass die Unfälle, die er mit seinem Wagen hat, in Wirklichkeit Selbstmordversuche sind. Sie reden darüber, entdecken einen Schlauch in der Garage, geeignet Gift vom Auspuff ins Auto zu leiten, doch sie unternehmen nicht wirklich etwas gegen die Selbstmordgedanken des Ehemanns und Vaters. Am Ende geht Loman tatsächlich mit dem Schlauch in die Garage und bringt sich um.
In Sebastian Nüblings Inszenierung am Hamburger Thalia Theater spielt der Sport eine wichtige Rolle. Im Stück hat Biff eine Sportkarriere als Footballspieler verpasst und damit seine Chance, als Sportstar seinem Milieu zu entkommen, nicht genutzt. Noch bevor die Zuschauer ihre Plätze eingenommen haben, liefern Biff und Happy sich an der Tischtennisplatte ein Duell, später ersetzt eine Ballmaschine einen der Spieler. Zum Schluss pustet die Maschine dem wehrlosen Willy Loman, der sich neben die Platte gesetzt hat, die Ping-Pong-Bälle ins Gesicht. Die Tischtennisplatte ist das wichtigste Requisit auf einer ansonsten fast leeren Bühne. Sie wird automatisch gesteuert, klappt sich von alleine hoch und fährt als Minibühne von der großen Bühne. Zum Ende des Stückes kehrt sie zurück. Den Sport bringt auch das Team Lomann auf die Bühne, eine dreizehn Mann starke Football-Mannschaft, in schwarzen Footballtrikots und schwarzen Helmen. Sie rufen Durchhalteparolen, feuern Lomann an. Der wirtschaftliche Erfolg wird zum Wettrennen mit den anderen, die das gleiche wollen. Nur der schnellste Vogel fängt den Wurm, der Rest bleibt auf der Strecke, so wie Lomann.
Mit Alicia Aumüller kommt Sex-Appeal auf die Bühne. Sie liefert als leicht bekleidete Geliebte Lomans eine beeindrucke Show an der Pol-Stange und singt dazu auch noch. Später ist sie Howard Wagner, Lomans Chef, und kündigt ihm endgültig, als er sich die Rückkehr zum Festgehalt erbittet. Dann setzt sie eine Videokonferenz fort, die sie wegen Lomans Begehr unterbrechen musste. Wer mit neuer Technik seine Geschäfte direkt abschließen kann, braucht keinen Handlungsreisenden mehr. „Man kann doch einen Menschen nicht auspressen wie eine Zitrone und dann einfach wegwerfen“, klagt Loman. Doch man kann. Wer nicht mehr gebraucht wird, muss sehen, wo er bleibt. In der Ellenbogengesellschaft ist sich jeder selbst der Nächste.
Arthur Miller Stück „Tod eines Handlungsreisenden“ trägt viele autobiografische Züge. Die Familie hieß eigentlich Mahler und stammte aus Polen. Der Großvater wanderte in die USA aus, Millers Vater verlor sein Geld beim Börsencrash von 1929 und musste von vorne anfangen. Arther Miller war 14 Jahre alt, als das passierte. Er arbeitete als Kellner und Lagerist, schrieb, und hatte Erfolg, als er mit „Tod eines Handlungsreisenden“ der amerikanischen Gesellschaft den Spiegel vorhielt. Das war 1949. Das Stück wurde in etwa 30 Sprachen übersetzt und die Rolle des Verlierers Willy Loman wurde zur Paraderolle für viele Schauspieler. 1986 verfilmte Volker Schlöndoff das Stück mit Dustin Hoffman in der Hauptrolle.
Im Laufe der Jahre wirkte das Thema für manche etwas angestaubt, doch heute ist die Geschichte vielleicht aktueller denn je. Handlungsreisenden gibt es kaum noch, die Loser von heute werden Subunternehmer genannt und arbeiten vielleicht für Staatsbetriebe wie die Post. Aber die Verlierer von heute bringen sich nicht mehr um. Ihre Traumwelten sind andere: Sport, Sex, Show. Das Prinzip von Brot und Spielen funktioniert auch nach 2000 Jahren noch. Und im „Zeitalter der Kommunikation“ noch viel besser als früher. Wirtschaftlich ging es Loman vielleicht gar nicht so schlecht, immerhin konnte er in 25 Jahren ein Haus abzahlen. „Das ist doch was“, sagt er. Ja, das ist was. Hier und heute kann man das mit einem normalen Job kaum schaffen.
Tod eines Handlungsreisenden, Thalia Theater
Regie: Sebastian Nübling
Musik: Lars Wittershagen
Dramaturgie: Julia Lochte
Kostüme: Amit Epstein
Bühne: Evi Bauer
Darsteller:
Kristof Van Boven (Willy Loman)
Marina Galic (Linda)
Sebastian Rudolph (Biff)
Rafael Stachowiak (Happy)
Alicia Aumüller (Die Frau / Howard Wagner / Miss Forsythe)
Tim Porath (Bernard / Charley / Stanley)
Team Loman: (alternierend): Berkay Bilgin, Ingmar Grapenbrade, Nils Hansen, Jarryd Haynes, Yann Mbiene, Bünyamin Pamukbasanoghi, Luca Pawelka, Lennart Packmor, Otis Packmor, Helge Rabe, Eike Reinke, William Schmidt, Laurence Volquardsen
und Viet Thanh Tran
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