Molière: Der eingebildete Kranke

Der eingebildete Kranke am Ernst-Deutsch-Theater

Molières Stück „Le Malade imaginaire“, etwas unpräzise oder mehrdeutig als „Der eingebildete Kranke“ ins Deutsche übertragen – gemeint ist „der vermeintlich Kranke“ –, ist Molières letztes Stück. Es entstand 1673 als letzte einer Reihe von Ballett- und Prosakomödien, in denen Molière eher leichtere und unverfängliche Themen behandelte und in denen er sich über bestimmte Moden der Zeit oder charakterliche Schwächen seiner Mitbürger lustig macht. In „Der eingebildete Kranke“ ist der blinde Glaube an die ärztliche Kunst, Selbstüberschätzung der Ärzte, aber auch Krankheit und Tod das Thema. Zum Zeitpunkt der Uraufführung stand Molière, Schauspieler und Autor, am Hofe von Ludwig IV. zum Vergnügungsdirektor aufgestiegen, im 51. Lebensjahr und war selber von Krankheit gezeichnet. Der Kampf um die Aufführung seines lange verbotenen Stückes „Tartuffe“ hatte ihn aufgerieben. Hinzu kamen Beziehungsprobleme und andere private Probleme, der Wettbewerb mit Rivalen um die Gunst des Hofes und der Frauen. Der jüngere Racine hatte ihm eine seiner Schauspielerinnen ausgespannt, sein früherer Komponist Lully stach Molière in der Gunst des Königs nach und nach aus. Der Tod wurde zu Molière ständigem Weggefährten. Seine Partnerin Madeleine Béjart starb, ebenso sein drittes Kind bald nach der Geburt.

Titelheld des Stückes „Le Malade imaginaire“, ist Argan, der sich für schwerkrank hält. Er erfreut sich ständiger ärztlicher Behandlung, doch seine Ärzte verschreiben ihm nur nutzlose Anwendungen und stellen im Übrigen hohe Rechnungen aus. Da er glaubt, von den Medizinern abhängig zu sein, möchte Argan seine Tochter Angélique einem Doktor zur Frau geben, genauer: dem Sohn des Arztes Monsieur Diafoirus. Angélique liebt jedoch jemand anderen, Cléante. Béline, Argans zweite Frau und Angéliques Stiefmutter, unterstützt scheinbar ihren Mann in der Absicht, seine Tochter dem frischgebackenen Arzt Thomas Diafoirus zur Frau zu geben, pflegt hinter seinem Rücken aber Liebschaften. Die Krankheitssucht ihres Mannes kommt ihr dabei nicht ungelegen. Wie so oft in Molière Stücken, ist es die Dienerin, die alles durchschaut und ihr Herz am rechten Fleck hat, hier heißt sie Toinette. Zusammen mit Argans Bruder Béralde versucht sie, ihrem Herrn die Augen zu öffnen. Zusammen überreden sie Argan sich totzustellen, um die wahren Absichten seiner Gattin zu erkennen. Dies gelingt, die Gattin verrät sich im Jubel über den vermeintlichen Tod ihres Gatten. Tochter Angéliques ist hingegen zu Tode betrübet. Argan erkennt seinen Irrtum. Nun kommt es zum Happy End. Angéliques darf ihren Cléante heiraten und der kranke Argan wird sogar in die Gilde der Ärzteschaft aufgenommen.

Ein paar Worte zur Medizin des 17. Jahrhunderts: Eine wissenschaftliche Medizin gab es zur Zeit von Ludwig des IV. nicht einmal in Ansätzen. Der „Sonnenkönig wurde zwar selber 79 Jahre alt, aber nicht wegen der Behandlungskunst seiner Ärzte, sondern trotz ihrer Anwendungen und Eingriffe. Da man in dieser Zeit Zähne als gefährlichen Infektionsherd ansah, wurden dem französischen König von seinem Leibarzt Dr. Daquin vorsorglich alle Zähne gezogen, wegen der dilettantisch durchgeführten Operation dabei ein Teil des Unterkiefers und Teile des Gaumens zerstört. Eine Narkose vor einem solchen Eingriff kannte man zu dieser Zeit übrigens nicht. Dr. Daquin notierte in seinem Tagebuch: „Zum Zweck der Desinfektion habe ich seiner Majestät das Loch im Gaumen 14 mal mit einem glühenden Eisenstab ausgebrannt. Ludwig IV. musste danach den größten Teil seiner Nahrung Zeit seines Lebens unzerkaut aufnehmen. Ein Teil der Nahrung verfaulte in seinem zerstörten Gaumen. Ludwig IV. soll fürchterlich gestunken haben. Noch bis ins 18. Jahrhundert hinein basierte die europäische Medizin beziehungsweise das, was man dafür hielt, auf der „Viersäfte-Lehre“, dem Gleichgewicht der Säfte von gelber und schwarzer Galle, Blut und Schleim. Krankheiten resultierten demzufolge aus einem Ungleichgewicht der Säfte. Aderlass war eine beliebte „Heilungsmethode“, um das Gleichgewicht wiederherzustellen. Außerdem propagierte man die Lehre vom gesunden Darm, der dann gesund war, wenn er leer war. So gehörten auch Abführmittel zu beliebtesten Behandlungsmethode. Ludwig IV erhielt täglich einen Sud aus Schlangenpulver, Weihrauch und Pferdemist. Dies alles dürfte am Hofe des Königs bekannt gewesen sein, sicher auch Molière.

Das traditionsreiche Hamburger Ernst-Deutsch-Theater
Das traditionsreiche Hamburger Ernst-Deutsch-Theater

Das Hamburger Ernst-Deutsch-Theater ist ein renommiertes Hamburger Privattheater und muss sein wirtschaftliches Überleben mit seinen Aufführungen größtenteils aus eigener Kraft sichern. Stücke von Molière, der sich lange Zeit in ähnlicher Situation befand, passen da gut. Die Aufführung des „Eingebildeten Kranken“ stand unter schwierigen Produktionsbedingungen. Der große Hamburger Schauspieler und Regisseur Volker Lechtenbrinck hatte das Stück schon vor vielen Jahren in eine gekürzte auf ihn zugeschnitte und mit einer Rahmengesichte versehen Version umgeschrieben und plante eine Wiederaufführung. Während der Probenzeit erkrankte er jedoch und musste die Titelrolle und die Regie abgeben. Wolf-Dietrich Sprenger sprang kurzfristig als Regisseur ein. Jonas Minthe, eigentlich als Cléante vorgesehen, übernahm zwei Wochen vor der Premiere die Rolle des Argan. Die schwierige Produktion wird bei der Aufführung mit einem kleinen rahmenhaften Vorspiel thematisiert: Minthe hat vermeintlich seine Bühnenglatze vergessen, der Vorhang wird noch einmal geschlossen, das Stück neu gestartet. Dann gibt eine Souffleuse überlaut und gestenreich Texthilfen.

Die Inszenierung setzt das Stück in eine nachempfundene Kulisse im Barockstil des 16. Jahrhunderts. Auch Personen treten in Kostüme aus dieser Zeit, Molières Zeit, auf. Auf modernistischen Neu- oder Uminterpretationen wurde also verzichtet. „Der eingebildete Kranke“ ist zwar eine Komödie, hat aber auch seine ernsten Momente. Diese kommen in dieser Inszenierung eher zu kurz. Jonas Minthe, mit viel Makeup auf krank getrimmt, versieht seine Rolle mit viel derbem Klamauk. Es geht um Einläufe und auch akustisch ist der Darm ein beständiges Thema. Meist sitzt Minthe als Argan mitten auf der Bühne, in seinem schaukelndem Krankensessel auf unzähligen Kissen, und dirigiert aus dem Zentrum heraus das Geschehen. Jessica Kosmalla als Hausmädchen Toinette wirbelt agil und mit feschen roten Haaren oftmals schimpfend über die Bühne. Maria Hartman verkörpert überzeugend Argans untreue Frau Béline, die sich zum Notar Monsieur Bonnefoss (Frank Jordan) hingezogen fühlt. Katharina Pütter als Angélique muss im Verlauf der zweistündigen Vorführung gleich mehrfach in Ohnmacht fallen und bewältigt diese Aufgabe gekonnt, ebenso eine a-cappella-Gesangseinlage. Auch ohne die ernsten Momente sorgen die Schauspieler am Ernst-Deutsch-Theater für einen unterhaltsamen Abend. Jonas Minthe und besonders Jessica Kosmalla erhielten am Ende den meisten Applaus.

 

Der eingebildete Kranke am Ernst-Deutsch-Theater

Premiere am 23. November 2017

Besetzung:

Argan: Jonas Minthe
Béline: Maria Hartmann
Toinette: Jessica Kosmalla
Angeliqué: Katharine Pütter
Louison, Argans jüngere Tochter: Julia Liebetrau
Monsieur Purgon und
Monsieur Bonnefoy, Notar: Frank Jordan
Béralde, Argans Bruder und
Cléante: Richard Zapf
Monsieur Fleurant, Apotheker
Monsieur Diafoirus, Arzt: Holger Umbreit
Thomas Diafoirus: Anton Pleva

Regie: Volker Lechtenbrinck, Wolf-Dietrich Sprenger
Bühne: Achim Römer
Kostüme: Nini von Selzam
Musik: Felix Huber
Dramaturgie: Stefan Kroner
Regieassistenz: Pia Nüchterlein, Alicia Wintruff
Dramaturgieassistenz: Julian Süssmann
Regiehospitanz: Sabrina Petrzik, Sophia Vial
Inspizienz: Ralph Sporleder

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