David Foster Wallace‘s „Infinite Jest“ (Unendlicher Spaß) ist alles andere als eine einfache Lektüre. Wer sich durch die 1500 Seiten (in der deutschen Übersetzung) kämpft, muss nach einer Geschichte suchen und wird keine finden, jedenfalls keine Geschichte im klassischen Sinne, stattdessen eine Fülle von unterschiedlichen Versatzstücken und Parallelhandlungen mit einer Vielzahl von Personen. Das Thema des Romans ist das Leben in der modernen Welt und es geht um alles, was damit zu tun hat. Die unterschiedlichen Elemente des Romans sind immerhin über einen groben Rahmen verknüpft: Franko-kanadische Separatisten wollen ihre Heimat aus der Organisation Nordamerikanischer Nationen heraustrennen, unternehmen Aktionen in den USA und möchten sich in den Besitz der Masterkopie des letzten Films von James O. Incandenza bringen. Wer diesen Film sieht, verfällt sofort der Infantilität und hegt nur noch den Wunsch, den Film immer wieder anzuschauen. Die Separatisten wollen den Film als Waffe einsetzten. Der Geheimdienst will das verhindern. Die Suche nach der Masterkopie verbindet die Personen und ihre Geschichten miteinander.
Von der Kritik wurde der 1996 erschienene Roman enthusiastisch gefeiert, so als „einer der 100 einflussreichsten Romane seit 1923“ (Time). Die Resonanz beim Lesepublikum ist geteilt, aber es gibt eine große Anhängergemeinde – der Roman ist Kult. Der Übersetzer Ulrich Blumenbach benötigte nicht weniger als sechs Jahr für die Übertragung ins Deutsche. Die deutsche Fassung ist übrigens 500 Seiten dicker als das Original. Deutsch ist eben eine umständliche Sprache – oder seine Wörter sind einfach zu lang. Die deutsche Fassung erschien 2009. David Foster Wallace, geboren 1962, lebte zu dieser Zeit nicht mehr. Depressiv und alkoholabhängig hatte er sich 2008 das Leben genommen.
Schon 2013 gab es eine erste Bühnenadaption des Stoffes von Malte Kettler, Anna Daßler und Jonas für das Stör & Fried Theater, aufgeführt im Haus der Wissenschaft in Braunschweig. Nun gibt es eine neue Bühnenfassung von Thorsten Lensing, in Kooperation mit einigen Theaterhäusern, unter anderem der Kulturfabrik Kampnagel in Hamburg, wo das Stück vom 21. bis 25. März 2018 viermal aufgeführt wurde.
Feuerwerk der Schaupielkunst
Ursina Lardi, Devid Striesow, Sebastian Blomberg, Jasna Fritzi Bauer, Heiko Pinkowski und André Jung boten auf der kargen Bühne der Halle K2 in der Kampnagel-Fabrik vor ausverkauften Reihen über vier Stunden ein wahres Feuerwerk der Schauspielkunst. Zum Verständnis des Theaterabends wäre die Lektüre des Romans sicher eine gute Vorbereitung gewesen. Aber auch so konnte man seinen Spaß haben. Auch das Stück zerfällt in einzelne Szenen, dem Roman entnommen, und fügt sich am Ende als Collage zu einem vagen Ganzen zusammen. Jeder der sechs Schauspieler übernimmt mehrere Figuren aus dem Roman. Die Handlung beginnt mit einem Gespräch einer Prüfungskommission mit dem 18-jährigen Hal Incadenza, hier und später von Ursina Lardi im weißen Sportdress gespielt. Hal erleidet während des Aufnahmegesprächs einen Nervenzusammenbruch und verliert die Sprache. In der nächsten Szene, die sieben Jahre davor liegt, sieht man ihn in einer Übungsstunde bei einem „Konversationalisten“, der sich schließlich als Hals Vater entpuppt, in Verkleidung, aber an seinem typischen nie gewaschenen Pullunder erkennbar,“Himself“ genannt. Sebastian Blomberg spielt ihn mit grauer Perücke und aufgeklebtem Bart. Man erfährt später, dass der Dokumentarfilmer sich selber umgebracht hat, indem er ein Loch in die Tür der Mikrowelle sägte, seinen Kopf durchsteckte und die Tür am Hals mit Klebeband abdichtete. Hal, der ihn tot auffand, muss später zugeben, dass es lecker roch, als er ins Haus kam. Das ist eine von vielen bedrückenden Szenen. In einer anderen spielt Jasna Fritzi Bauer auf sehr, sehr überzeugende Weise eine Katze, wird eingefangen und in einen Plastiksack gesteckt, in dem sie eine Zeit lang unbeweglich auf der Bühne kauert. Dann ist sie „Madame Psychosis“, eine Radiomoderatorin, tritt im knappen Glittertop und Latexhose auf, ist jedoch stets verschleiert. Sie gehört der „Liga der rüde Verunstalteten und Entstellten an“.
Mit seinen Brüdern Orin und dem verkrüppelten Mario diskutiert Hal des abends die Familienverhältnisse. Die Mutter, „Moms“, ist offenbar Alkoholikerin. Man spricht von ihr und ihren Reaktionen, aber im Stück erscheint sie nicht. Es ist „Himself“, der die seltsame Familie führt. Später tritt Himself auch noch als sein eigener Geist auf und kommentiert das Geschehen.
Orin Incandenza, ein gefeierte Footballstar, erzählt an einer Stelle, wie er mit den „Subjekten“ umgeht, Cheerleadern, mit denen er Sex hat. Der diabolisch-selbstgefällige Vortrag von einem bestens aufgelegten Devid Striesow ist sicher einer der Höhepunkte des Abends. Striesow ist ein Schalk. An anderer Stelle spielte er im rosa Kleidchen U.S.S. Millicent Kent, die sich dem unbedarften Technik-Nerd Mario Incandenza in jugendlicher Unschuld nähert. In der skurrilen Szene kann Striesow selber vor Lachen nicht an sich halten. Ein anderen witzigen Glanzpunkt setzt Sebastian Blombergs in seiner Darstellung eines großen Vogels, der plötzlich desorientiert umher läuft und dann mit Anlauf kopfüber in den Whirlpool fällt, in dem gerade Orin Incandenza sitzt und prahlt. Devid Striesow und Sebastan Blomberg sind ein großes Komödiantenpaar, wie man auch aus ihrem gemeinsamen Spiel in dem Film „Zeit der Kannibalen“ weiß.
Das Bühnenbild besteht aus einer Metallwand und einigen spärlichen Requisiten. Die Akzente werden mit wenigen, aber kräftigen Mitteln gesetzt. Mario Incandenza, André Jung, zieht sich ein Gummiband über den Kopf und durch den Mund und wird so zum Krüppel. Hinter der Metallmauer beginnt das Grenzgebiet zu Kanada. Hier wird der Müll rüber geworfen. Auch Requisiten, die man nicht mehr braucht. In der Müllzone gibt es gefährliche Krankheitsherde, die mit großen Windmaschinen zurück geblasen werden. Mannshohe Hamster laufen dort herum, wird erzählt.
Die Enfield Tennis Academy, von Himself gegründet und von seinem Sohn Hal besucht, und die Gespräche dort im gemeinschaftlichen Schlafsaal nehmen großen Raum ein. Ebenso die Gesprächsrunden in der Selbsthilfegruppe AA. Alle sind sehr verständnisvoll und machen sich Mut, denn es „öffnet sich ja immer eine neue Tür“. Der frühere Einbrecher und medikamentensüchtige Don Gately, Heiko Pinkowski, ist dominanter Leiter der Gruppe, auch physisch. Er findet den aufgesetzten Optimismus der anderen Wracks zum Kotzen, hat einen Wutausbruch und kann sich nicht dagegen wehren, dass er auch dafür Verständnis erntet. Später wird er in einer Schießerei verwundet und liegt im Krankenhaus. In einem inneren Monolog schießen ihm tausend Gedanken durch den Kopf und er hofft keine Erektion zu bekommen, während die hübsche blonde Krankenschwester ihn wäscht. Ursina Lardi zieht im unterdessen das letzte Kleidungsstück herunter und wäscht ihm sein Gemächt. Heiko Pinkowski steht im wörtlichsten Sinne nackt da.
Vier Stunden, unterbrochen von einer 20-minütigen Pause, voller Szenen und Gespräche sind eine lange Zeit. Die Bearbeitung von Thorsten Lensing hat viele Höhepunkte, zwischendurch auch mal ein paar Längen. Alles in allem war es ein intensiver, interessanter und unterhaltsamer Abend.
Das Werk „Infinite Jest“ hat übrigens eine eigene Webseite, ein Forum, in dem über die Figuren ausgiebig diskutiert wird: http://infinitesummer.org/
Unendlicher Spaß von David Foster Wallace
Übersetzung: Ulrich Blumenbach
Textfassung: Thorsten Lensing, unter der Mitarbeit von Thierry Mousset und Dirk Pilz
Regie: Thorsten Lensing, unter der Mitarbeit von Benjamin Eggers
Bühne: Gordian Blumenthal, Ramun Capaul
Kostüme: Anette Guther
Dramaturgie: Thierry Mousset.
Darsteller: Jasna Fritzi Bauer, Sebastian Blomberg, André Jung, Ursina Lardi, Heiko Pinkowski, Devid Striesow.
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