Der Berliner Manuel Göttsching, geboren 1952, gründete 1970 mit seinem Schulfreund Hartmut Enke und Klaus Schulze die Band Ash Ra Tempel. Schulze verließ die Band schon bald wieder, Enke folgte etwas später. Göttsching machte mit Gastmusikern alleine weiter. Musikalisch gehörte Ash Ra Tempel zur „Krautrock“-Richtung, ein Begriff, den der einflussreiche englische Radiomoderator John Peel geprägt haben soll. Bekannte „Krautrock“-Gruppen waren Guru Guru, Tagerine Dream, Kraan, Amon Düül und Amon Düül II und vor allem Can. Für John Peel war Krautrock vermutlich erstmal alles, was aus Deutschland kam und nicht in das übliche Popsong-Schema passte. Den deutschen Rockgruppen dieser Zeit war aber allen ein Interesse an elektronischer Musik gemeinsam.
Manuel Göttsching hatte dann 1981 eine gute Idee, ging in sein Studio „Roma“ und nahm eine Stunde lang eine Improvisation mit elektronischen Mitteln auf, die im Wesentlichen auf der Variation von zwei Akkorden basierte. Da Göttsching zu der Zeit keinen Plattenvertrag besaß, wurde das Werk zunächst nicht veröffentlicht. 1983 erinnerte sich Klaus Schulze, inzwischen auch als Produzent aktiv, an die Aufnahme und brachte sie in einer Auflage von 1000 Stück heraus.
Göttsching hatte sein Werk e4-e4 genannt, so wie einen der Eröffnungszüge beim Schach. Auch das Plattencover erinnerte an das Schachspiel. Manuel Göttsching hatte in seiner Jugend regelmäßig gegen seinen Vater gespielt und auch später das Interesse am Schach nicht völlig verloren. Der Titel „e2-e4“ klang zudem so ähnlich wie der Name eines der menschlichen Roboters in den damals sehr populären Star Wars-Filmen – R2d2. Dass damit hier aber Schach-Eröffnungszug gemeint war, wusste sicher nicht jeder. Auch die einzelnen Abschnitte des Stückes waren in ihren Titeln dem Verlauf einer Schachpartie nachempfunden:
- Ruhige Nervosität
- Gemässigter Aufbruch
- …und Mittelspiel
- Ansatz
- Damen Eleganza
- Ehrenvoller Kampf
- Hoheit weicht
(nicht Ohne Schwung)
- …und Souveränität
- Remis
Göttschings Stück e2-e4 erlangte dann im Laufe der Jahre eine immer größere Popularität, war lange der der Opener im legendären Studio 54, erlangte allmählich Kultstatus und wurde mehrfach gesampelt. Schließlich wurde Manuel Göttsching als Pionier der heute so beliebten Lounge- und Techno-Musik gefeiert. 2006 zelebrierte man das 25-jährige Jubiläum seiner Pionieraufnahme. Seitdem führt Manuel Göttsching sein Stück „e2-e4“ auch live auf.
In der Hamburger Elbphilharmonie setzte man nun ihm und einigen anderen Pionieren der elektronischen Musik mit dem „Elektronauten-Festival“ ein musikalisches Denkmal. Wie immer war der große Saal der Elbphilharmonie ausverkauft. Manuel Göttsching ließ etwas auf sich warten, so wie sich das auch für einen Rockmusiker gehört, allerdings nicht wirklich lange, und bestritt dann die ersten Hälfte des insgesamt zweistündigen Konzerts alleine. In seiner Ansage verriet Göttsching, dass dies sein erster Auftritt in Hamburg war und freute sich über das große Interesse. In einem Satz wies er auch auf den großen Unterschied bei der Aufführung des Stückes damals und heute hin. Tatsächlich saß Göttsching die erste halbe Stunde nur vor seinen beiden Mac-Books und schien nicht mehr zu machen, als die „Aufführung“ zu überwachen. Nach etwa einer halben Stunde begleitete er den elektronischen Sound live, aber dezent mit seiner Gitarre.
Nach einer Stunde wurde der Musiker vom Publikum mit großem Applaus bejubelt. Im zweiten Teil des Konzerts spielte Göttsching dann zusammen mit zwei Gastmusikern einige Stücke aus seinem Ash Ra Tempel Experience-Projekts.
Die neue Elbphilharmonie in Hamburg sorgte während ihrer langen Bauzeit bekanntlich für viele zumeist negative Schlagzeilen. Komplizierte statische Anforderungen hatten die Kosten in immense Höhen getrieben. Wirklich gebraucht hat man diese Konzerthalle in Hamburg nicht, denn mit der Laeishalle gibt es schon eine schöne Konzerthalle. Nun ist die „Elphi“, wie man das Haus jetzt gerne liebevoll nennt, seit einiger Zeit in Betrieb und die Hamburger sind stolz und zufrieden. Die Architektur ist außen wie innen wirklich imposant und auch ohne Konzertkarte für jedermann zugänglich. Von der so genannten „Plaza“ in etwa 50 Meter Höhe hat man einen fantastischen Blick auf die Elbe, den Hafen und die Stadt. Das ganze Gebäude ragt mit seinem wellenartigen geschwungenen Dach 110 Meter über der Elbe. Mit der Elbphilharmonie besitzt Hamburg nun einen weiteren Anziehungspunkt für Touristen.
Auch das Aufführungskonzept ist stimmig. Neben Konzerten der „klassischen“ Musik werden immer wieder Konzerte von Rock-, Pop, oder Jazzmusikern angeboten. Eine der ersten Gäste waren die „Einstürzenden Neubauten“– ein schöner Witz, denn der Elbphilharmonie wurde wegen ihre gewagten Statik auf einem alten Kaispeicher von skeptischen Bauingenieuren keine lange Lebensdauer prognostiziert.
Eine der vielen Besonderheiten des großen Konzertsaales ist eine einzigartige Akustik. Speziell geformte Kacheln sorgen für ein ungetrübtes und gleichermaßen intensives Hörerlebnis an jeder Stelle im 25 Meter hohen Raum. Selbst wenn hier die Schrottplatz-Metallwerker der Einstürzenden Neubauten spielen, klingt es durchweg sauber und geradezu akademisch. Und das war auch bei Manuel Göttschings Ash Ra Experience so. Wer dabei war, hat ein interessantes Stück Musikgeschichte erlebt.
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