Lazarus (Schauspielhaus)

David Bowie: Lazarus
David Bowie: Lazarus

Im Jahr 1976 drehte Nicholas Roeg („Wenn die Gondeln Trauer tragen“) mit David Bowie den Film „Der Mann, der vom Himmel fiel“. Ein Außerirdischer kommt auf der Suche nach Wasser für seinen verwüsteten Heimatplaneten auf die Erde. Er nimmt die Gestalt der Menschen an, wird dank seiner überlegenen Intelligenz ein erfolgreicher Unternehmer und baut einen mächtigen Konzern auf, mit dessen Hilfe er das Wasser der Erde auf seinen Planeten schaffen will. Er verliebt sich auf der Erde jedoch in die brave Kleinstadt bewohnerin Mary-Lou. Neider enthüllen seine wahre Identität, Mary-Lou zeigt sich schockiert darüber, Newton verlässt sie. Nach und nach zerbricht er an der Herz- und Gefühllosigkeit des American Way of Life. Der Film ist gespickt mit Anspielungen auf die Kunstgeschichte und vermittelt in seiner experimentellen Bildsprache das Lebensgefühl der 1970er Jahre. Der Engländer David Bowie, im Film mit orange gefärbten Haaren und in unterschiedlichen Farben leuchtenden Augen, zu jener Zeit kokainsüchtig, blass und abgemagert an einem schwierigen Punkt seines Lebens, war die androgyne Idealbesetzung für einen Alien, einen Fremden, im Land er unbegrenzten Möglichkeiten.
David Bowie, im Januar 2016 im Alter von 69 Jahren verstorben, schrieb kurz vor seinem Tod zusammen mit dem irischen Dramatiker Enda Walsh an den Film anknüpfend das Musical „Lazarus“. Ursprünglich sollte der Film mit Songs von David Bowie unterlegt werden, doch Roeg entschied sich für einen anderen Soundtrack. Lazarus knüpft einerseits an den Film an, ist aber auch eine eigene Umsetzung der literarischen Vorlage von Walter Tevis (Originaltitel: „The Man Who Fell to Earth“), nun aber mit Songs von David Bowie, zum größten Teil seine Hits wie „This is not America“, „The Man who sold the World“, „Changes“,“Absolute Beginners“, „Life on Mars?“ und einigen eigens für das Musical neukomponierten Songs.

Der Alien Thomas Newton lebt zurückgezogen unter den Menschen, schaut sich auf einer Videowand eine Vielzahl von Fernsehprogrammen gleichzeitig an und ist bester Kunde an seiner eigenen Bar. Seine Mission, Rettung des Planeten Anthea, hat er längst aus den Augen verloren. Als Unsterblicher leidet er an seiner ewigen Existenz auf der trostlosen Erde. In einer Mischung aus Realität, Erinnerung und Fieberwahn umgeben ihn die Figuren seiner Lebensgeschichte. Die biedere Haushälterin Mary-Lou – Julia Wieninger – verwandelt sich unter der eifersüchtigen Beobachtung ihres Mannes – Thomas Mehlhorn – in der Nähe von Newton allmählich in einen Vamp. Doch Newton verstößt sie am Ende. Ein engelhaftes Mädchen ohne eigene Identität – Gala Othero Winter – , von Newton als Produkt seiner Fantasie angesehen, erscheint und bietet sich als Retterin an, indem sie ihm „Hoffnung“ vermittelt, und hilft an seinem Raumschiff weiter zu bauen. Doch „Valentine“ – Tillman Strauß – , der sich als Schutzheiliger der Liebenden ausgibt, in Wirklichkeit jedoch der Teufel ist, sorgt dafür, dass Newton sie ersticht. Zum Schluss erklimmt Newton aber doch gemeinsam mit ihr die Spitze des Felsens in der Mitte des Garten Edens und singt die Pop-Hymne“Heroes“ mit dem Refrain:

„We can be Heroes,  just for one day“  

Als Schlussbild erscheint im Hintergrund des Paares einStern – „Blackstar“ war der Titel des letzten Bowie-Albums bevor er starb.

Wer den Film und die Geschichte nicht kennt, der wird dieDarstellung im Hamburger Schauspielhaus als wirr empfinden, aber das soll wohl auch so sein. Zunächst werden auf einer Videowand unzählige Schnipsel der Zeitgeschichte erzählt, altes und neues. US-Geschichte, Kennedy und Reagan, Krawalle sind zu sehen, wie die im Hamburger Schanzenviertel beim G20-Gipfel 2016, Schlüsselmomente der jüngeren Geschichte, aufgeteilt auf eine Vielzahl parallel gezeigter Videoclips. Hinter der Videowand rückt dann eine Art Garten Eden in den Mittelpunkt, in dessen Zentrum befindet sich ein Felsen.

Bühnenbild Lazarus

Gelegentlich wird das Bühnenbild gedreht und so können die Figuren entweder aus einer Felsenlandschaft oder einem Dschungel hervor kommen oder dort umhertollen. Alexander Scheer ist Thomas Newton und zugleich David Bowie, weithin erkennbar mit seinen leuchtend orangenen Haaren. Er beginnt im Morgenrock und entflieht seiner Apathie mit dem ersten gesungenen Song. Die Musik kommt live von einer Band auf der Bühne, in ihren Glitzerkostümen an Abba erinnernd. Scheers gesangliche Interpretation, Gesten und Mimik, manchmal mit brüchiger Stimme, wirken authentisch. Sein Vorbild hat er gut studiert.

Der „Lazarus“ im Hamburger Schauspielhaus ist eine ehrfürchtigeHommage an David Bowie, aber auch der künstlerische Abgesang eines Sterbenden. Die Darstellerwechseln sich im Vortrag der Bowie-Songs ab und alle sind überzeugend. Auch inder bunten und glitzernden Inszenierung von Falk Richter gibt es unzählige Zitate und Verweise.Sachiko Hara kommt als japanische No-Figur – niemand spielt Japanerinnen soüberzeugend wie sie – und verwandelt sich mit gelben Overall undSamurai-Schwert in Uma Thurman, um später als Braut und Yoko Ono erneut zuerscheinen. Dann rennen Pussy Riot-Aktivisten mit „Fuck Söder“-T-Shirts über die Bühne. Am Rande des Felsens, vor schwarzem Hintergrund, taumeln in Zeitlupe, scheinbar schwerelos, Astronauten – Erinnerung an die seinerzeit live in die ganze Welt übertragene und eigentlich doch völlig nutzlosen Mondlandungen.

Das Stück lebt von den bunten bewegten Bildern und noch mehrvom Vortrag der wohl bekannten und intensiven Songs aus der Feder desverstorbenen David Bowie –jedes Stück hat seine eigene Geschichte. Am Endejubelt das Hamburger Publikum lang und ausdauernd mit stehenden Ovationen denSchauspielern, der Inszenierung, aber auch dem toten David Bowie zu.

Standing Ovations im Schauspielhaus

Lazarus von David Bowie und Enda Walsh

Regie: Falk Richter
Bühne: Katrin Hoffmann
Kostüme: Andy Besuch
Musikalische Leitung: Alain Croubalian
Licht: Hartmut Litzinger
Video: Chris Kondek
Dramaturgie: Rita Thiele

Darsteller: Yorck Dippe, Sachiko Hara, Jonas Hien, Thomas Mehlhorn, Alexander Scheer, Tilmann Strauß, Julia Wieninger, Gala Othero Winter;

Teenage Girls (Choreographie und Tanz): Johanna Lemke, Chris Scherer, Nina Wollny

Band: Sonja Beeh, Kay Buchheim, Hanns Clasen, Alain Croubalian, Bernadette La Hengst, Stephan Krause, Rebecca Oehms, Samantha Wright.

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