Werner Schwabs Präsidentinnen am Schauspielhaus

Werner Schwab- Die Präsidentinnen
Werner Schwab- Die Präsidentinnen

Einen Auftritt gibt es nicht. Wenn die Zuschauer den Malersaal betreten, dann sitzen die Präsidentinnen schon auf der Bühne und warten, bis alle Platz genommen haben, um ihre groteske Unterhaltung zu starten.Es beginnt aber erst einmal mit der Übertragung der Osteransprache des Papstes im Fernsehen. Erna ist ganz besonders fromm, schläft dabei aber mit offenem Mund in ihrem Sessel ein. So wichtig ist es dann doch nicht. Der Versuch vonGrete, ihr die Fernbedienung zu entwenden und das imaginäre Gerät in ein Unterhaltungsprogramm umzuschalten, scheitert jedoch. So wichtig ist es dann doch. Hinter ihrem Sessel kauerte noch Mariele, um irgendetwas wegzumachen.Mariele, burschikos, ist die Frau fürs Grobe. Sie räumt Exkremente weg undsorgt für freien Durchfluss auf den Aborten, erfährt man.

Ute Hanning als Erna, Bettina Stucky als Grete und Lina Beckmann als Mariele zünden im Verlauf der fast zweistündigen Inszenierung von Viktor Bodo im Malersaal am Deutschen Schauspielhaus ein Feuerwerk an Witz und Spielfreude.Der vierte Star des Abends ist die Bühne – eine unglaublich verranzte Wohnküche, eine Einzimmer-Souterrain-Wohnung,  liebevoll mit unzähligen Utensilien dekoriert.Vorne rechts steht ein Herd, an dessen Seitenwänden die Kochreste der letzten zehn Jahre kleben. Weiter hinten  ein alter Küchenschrank mit Heiligenfiguren auf seinem Dach, links eine Bettcouch,unter den hohen, aber schmalen Fenstern an der Rückwand eine Badewanne. Darüberhängt Wäsche. Unter dem Dach der Wohnung verlaufen einige Abwasserrohre, aus denen Geräusche entweichen, wenn die Wohnungen darüber spülen. Manchmal tropft das Abwasser auf die Küchengeräte.

Werner Schwab- Die Präsidentinnen
Werner Schwab- Die Präsidentinnen

Während Erna sich ein Loch in ihr Kleid bügelt und späterein paar Zwiebeln im Backofen zubereitet, bis sie schwarz sind, wird geschwätzt.Die Zuschauer erfahren dies und das, zum Beispiel das Erna sehr, sehr sparsam ist und an der Tür zum Abort horcht, um zu erfahren wie oft ihre Sohn Herrmann das Toilettenpapier abreist. Und dass sie vergeblich auf Enkelkinder hofft.Doch ihr Herrmann hat keinen Verkehr. Grete hingegen, auch schon in die Jahrege kommen, aber mit kurzem Rock, denkt am liebsten an Sex. Ihre Tochter Hannelore ist nach Australien geflüchtet. Ihr Mann hat die Tochter im Ehebett „bestraft“, bevor er Grete verlassen hat und mit einer 18-jährigen Asiatin fortgegangen ist. Mariele denkt am liebsten an verstopfte Aborte. Dann kommt sie unter dem Jubel der Bevölkerung und räumt die Rohre von weichem und hartem Stuhl frei.
Das Thema Stuhl wird Erna und Mariele geradezu wissenschaftlich untersucht. Die Unterhaltung im ersten Teil wird schließlich politisch und mündet in eine Schlägerei zwischen Erna und Grete. Slapstick! Grete drückt am Ende Ernas Gesicht auf die heiße Herdplatte. Dann zieht Mariele, die den Streit gar nicht mag, ein Jagdgewehr unter dem Bett hervor und sorgt drohend für Ruhe. Sogar der Küchenschrank hat genug, kippt vornüber und übergibt sich mit Geschirr. Erna, mit verbranntem Gesicht, und Grete vertragen sich schnell wieder.

In der zweiten Hälfte erzählen die Frauen sich von einem Dorffest und ergeben sich in ihre Träume. Erna bekommt etwas Leckeres zu essen und Grete von einem Verehrer einen Finder in den Po. Marielle, von den anderen beiden Frauen stets unterdrückt, erzählt eine Heldengeschichte, in der sie mit bloßen Armen („Die Mariele macht’s auch ohne!“) und unter dem Jubel der Bevölkerung gleich drei Aborte von Verstopfungen befreit. Der Pfarrer hat ihr an der Arbeitsstelle ein paar Geschenke versteckt, stellt sich als Ursache der Verstopfung heraus. Eine Konserve mit Gulasch ist darunter. Mariele stellt sich vor, wie sie diese rasch vom Dreck befreit, öffnet und den Inhalt genussvoll herunter schlingt. Ja, was hier alles so erzählt wird, ist oft ekelig.

Doch dann rächt sich Mariele an den anderen beiden, spinnt deren Geschichte zu Ende und macht zerstört sie dabei genüsslich. Nun nimmt das Stücke eine brutale Wendung. Grete und Erna erschlagen Mariele aus Wut über die geplatzten Träume in der Badewanne, zersägen sie in Stücke und packen sie in Müllsäcke, um diese dann auf der Straße an den Müll zustellen.

Zum Schluss bildet das Personal aus den Gesprächen, der Pfarrer, der Metzger, der Verehrer,  die Hannelore, der Herrman, der allgegenwärtige Adolf Hitler und die Jungfrau Maria einen Chor und singen ein spöttisches Lied vom Herrgott und wo er überall drin steckt. Als Schlussgag wird ein offenes Rohr drohend über das Publikum gedreht, doch es kommt nichts heraus. Nicht nur deshalb ist das Publikum begeistert.  

Der österreichische Brachial-und Fäkaldramtiker Werner Schwab hat hier die Erlebnisse seiner Jugend verarbeitet. Er selber ist in solch einem Loch aufgewachsen. Die allein erziehende Mutter musste sparen, drehte dem an Literatur interessierten Sohn das Licht ab und flüchte sich in Frömmlerei, Schwab in die Literatur. Er wollte Künstler werden, studierte an der Kunstgewerbeschule in Graz. Dann kaufte er Anfang der 1980er Jahre zusammen mit einer Freundin einen Bauernhof in der Steiermark, lebte von Gelegenheitsarbeiten und schrieb, ohne dass sich jemand dafür interessierte.  1990 kam dann urplötzlich der Durchbruch mit den Präsidentinnen. Schwab wurde er zum gefeierten Dramatiker. In seinen Stücken hatte er eine eigene Fäkalsprache erfunden. Genießen konnte er seinen Ruhm nicht mehr. Am 1. Januar 1994 wurde Werner Schwab tot in seiner Wohnung gefunden. Gestorben nach Atemstillstand bei 4,1 Promille im Blut.

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