Arthur Miller Stück „Hexenjagd“ hat seine historische Vorlage in einem Ereignis in der Frühzeit der neuen amerikanischen Geschichte, nach der europäischen Kolonisierung. Die Geschichte ist erstaunlich gut dokumentiert, weil sie wohl schon von den damaligen Zeitgenossen als ganz außergewöhnlich wahrgenommen wurde.
1691/92 begannen sich in der streng puritanischen Gemeinde Salem, Massachusetts, die Mädchen Abigail Williams und Betty Parris, überaus seltsam zu verhalten, rannten schreiend durch die Räume, verrenkten ihre Körper auf unnatürliche Art und sprachen in einer unverständlichen Sprache. Ein Arzt diagnostizierte „Besessenheit“ der Mädchen durch Geister oder gar durch den Teufel selbst. Abigail Williams lebte im Hause der Familie Parris. Samuel Parris, Vater von Betty Parris, ein Prediger, war ihr Onkel. Ihre eigenen Eltern waren im von Indianern getötet worden.
Nachdem der Arzt die Richtung vorgegeben hatte, nahm Parris den Ball auf und warnte vor dem drohenden Untergang der Siedlung durch Hexerei und Inbesitznahme der Bürger durch den Teufel. Betty und Abigail sollten die Personen nennen, durch die sie verhext wurden. Die Mädchen beschuldigten nun mehrere Frauen der Hexerei, darunter die Indianerin Tituba, die Parris als Sklavin aus einem Aufenthalt in Barbados mitgebracht hatte und die Voodoo-Riten praktizierte. Tituba und zwei weitere Frauen wurden verhaftet. Eine Frau wurde gehängt, eine starb im Gefängnis, ebenso ein Neugeborenes. Tituba, die als einzige die Hexerei gestanden hatte, wurde nach einem Jahr freigekauft. Bald wurden weitere Einwohner der Hexerei angeklagt, darunter Elisabeth und John Proctor. Nach den ersten Beschuldigungen entstand in Salem schon bald eine Massenhysterie, die auch auf andere Orte übergriff. In Salem wurden schließlich 350 Personen wegen Hexerei angeklagt, 150 inhaftiert und 20 hingerichtet. Die Inhaftierten wurden zum Teil gefoltert. Wer sich zur eigenen Hexerei bekannte, wurde nicht hingerichtet. Der 80-jährige Farmer Giles Corey verweigerte die Aussage und wurde mit schweren Steinen, die man auf seinem Brustkorb platzierte, zerquetscht. Schließlich waren so viele Einwohner der Siedlung inhaftiert, dass die Felder nicht mehr bestellt und das Vieh nicht mehr gefüttert werden konnte. Der Ort drohte zu kollabieren. 1693 beendeten schließlich Bostoner Geistliche unter der Führung von Reverend Increase Mather den Spuk.
In seiner Dramatisierung der Geschichte folgt Arthur Miller sehr nahe den historisch belegten Fakten und behält auch die meisten Namen der historischen Personen bei. In seiner „Hexenjagd“ sind jedoch Eifersucht und Rachsucht die Auslöser der Hysterie. Abigail Williams ist Dienstmagd beim Ehepaar Proctor und geht ein Verhältnis mit John Proctor ein. Als dieser das Interesse verliert und sie von der Ehefrau Elisabeth Proctor des Hauses verwiesen wird, organisiert Abigail Williams zusammen mit einigen anderen Mädchen im Wald eine schwarze Messe, um mit der Hilfe von dunklen Kräften John Proctor zurückzugewinnen und seine Frau zu töten. Die nackt um einen Kessel mit einem Zaubertrank tanzenden Mädchen werden von Reverend Parris überrascht. Die Vorgeschichte kommt hier als Film in szenischen Schnipseln auf einer übergroßen Leinwand.
Schuldbewusst fallen einige der Mädchen auf der Bühne dann in Ohnmacht. Da es keine plausible Erklärung für den Zustand gibt und Parris auch nicht seine Tochter und seine Nichte einer unzüchtigen Handlung bezichtigen will, holt er den Spezialisten für Teufelsaustreiberei Reverend Hale zu Hilfe. Um sich selber vor Strafe zuschützen und von sich abzulenken, beginnen die Mädchen gegenüber Reverend Hale nun andere Personen der Hexerei zu beschuldigen. Die Fälle werden schließlich von Richter Danforth verhandelt. Auch materielle Gründe spielen eine Rolle für Beschuldigungen, weil der größte Grundbesitzer das Land der Angeklagten aufkaufen möchte. Die Mädchen treten als Zeugen gegen die Beschuldigten auf. John Proctor durchschaut das Spiel und die Absicht seiner Ex-Geliebten. Als auch seine Frau Elisabeth von Abigail Williams beschuldigt wird, in der Absicht, die Nebenbuhlerin mit Hilfe des Gericht umbringen zu lassen, versucht John Proctor mit Unterstützung seiner neuen Magd Mary Warren die Wahrheit durchzusetzen – doch letztlich ohne Erfolg. Um seine Frau frei zu bekommt, gibt er sogar seinen eigenen Ehebruch zu – ein schweres Verbrechen. Seine Frau wird als Zeugin herbei gerufen. Weil sie ihren Mann nicht beschuldigen möchte, bestätigt Elisabeth Proctor den Ehebruch jedoch nicht. Proctor wird schließlich wegen Missachtung des Gerichts verhaftet, der Hexerei beschuldigt und eingekerkert. In einer Schlüsselszene des Stückes soll er ein Geständnis machen und auch unterschreiben. Die Oberen befürchten nämlich einen Aufstand, wenn noch mehr Einwohner gehängt würden. Um nicht gehängt zu werden, soll Proctor lügen und zugeben, mit dem Teufel im Bunde zu stehen. Dazu ist er bereit. Doch als er auch noch andere beschuldigen soll, weigert er sich und geht lieber in den Tod.
In seiner dramatischen Bearbeitung des historischen Stoffes zieht Artur Miller Parallelen zur „Kommunistenhatz“ in der so genannten McCarthy- Ära in den USA zwischen 1947 und 1956. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges entstand mit der kommunistischen UdSSR, im Krieg noch Verbündete der USA gegen Nazideutschland, ein neues Feindbild. Die Aufdeckung einer Reihe von kommunistischen Spionageringen führte zu einer breiten antikommunistischen Stimmung im Land. Europäische Einwanderer, die kommunistischer Gesinnung verdächtigt wurden, wurden ebenso vor das „Komitee für unamerikanische Umtriebe“ vorgeladen, wie viele politisch links orientierte Künstler und Intellektuelle. Arthur Miller wurde selber vorgeladen und hat die Kommunistenjagd, Verdächtigungen und die Forderung andere zu denunzieren selber erlebt. Die Art der Befragung durch das „Komitee für unamerikanische Umtriebe“ muss überaus unangenehm gewesen sein. Den einer kommunistischen Geisteshaltung Beschuldigten drohte de facto Berufsverbot. Viele europäische Immigranten verließen das Land wegen der feindseligen Stimmung wieder. Bei der Rezeption der Vorgänge, vor allem im liberalen Teil Europas wurde allerdings übersehen, dass die amerikanische Verwaltung unter Franklin D. Roosevelt vor und während des Zweiten Weltkrieges in einem Maße kommunistisch unterwandert war, das man sich in der Öffentlichkeit gar nicht vorstellen konnte. Die Kommunistische Partei der USA spielte dabei eine zentrale Rolle und arbeitete eng mit Moskau zusammen. Die kommunistische Einflussnahme auf die US-Regierung führt unter anderem dazu, dass China kommunistisch wurde. Der vom todkranken Roosevelt schon unterschriebene Morgenthau-Plan – Deutschland sollte in ein Agrarland verwandelt werden, stammte in Wirklichkeit vom sowjetischen Agenten und Stellvertretenden Finanzminister Harry Dexter White. Die NSA veröffentlichte ihre Erkenntnisse erst 1995 in den Venona Papers.
Regisseur Stefan Pucher ist am Thalia Theater eine ausgezeichnete Inszenierung des Stückes gelungen. Vor allem die Gruppe der Mädchen, angeführt von Antonia Bill als Abigail Williams und Toini Ruhnke als Mary Warren, beeindruckt in ihrer hysterischen Choreographie. Für die Choreographie zeichnet die Tänzerin Sylvana Seddig verantwortlich, die selber in einem haarigen und langarmigen roten Kostüme als eine Art Feuerengel und als Indianerin Tituba durch die Szenen schleicht und zwischendurch als eine Art einstimmiger Chor Ereignisse zusammenfasst. Jörg Pohl ist John Proctor und hat seine beste Szene, als er in einem „Exorzist“-Zitat wie eine Spinne rückwärts über die Bühne krabbelt und sich so über die Anklage der Hexerei lustig macht. Kristof Van Bowens John Hale ist ein dämonischer Kauz, wandelt sich aber zum Verteidiger der Beklagten, als er merkt, dass die Sache aus dem Ruder läuft. Das Bühnenbild (Barbara Ehnes) wird durch eine Art Blockhaus auf einer Drehbühne bestimmt, das je nach Perspektive zum Hügel wird, oder zu einem Weg, über den die Darsteller auftreten und dabei Acht geben müssen, von den schmalen Stufen nicht abzurutschen. Auf Hinweise in die McCarthy-Ära verzichtet Stefan Pucher in seiner Inszenierung völlig. Die Inszenierung und das Spiel aller Darsteller ist rasant und eindringlich. Die dreistündige Aufführung verging ohne jede Länge.
Regie: Stefan Pucher
Bühne: Barbara Ehnes
Kostüme: Annabelle Witt
Dramaturgie: Matthias Günther
Musik: Christopher Uhe
Video: Meika Dresenkamp
Mitarbeit Video: Rasmus Rienecker
Choreografie: Sylvana Seddig
Darsteller:
Antonia Bill (Abigail Williams)
Kristof Van Boven (John Hale)
Marina Galic (Elizabeth Proctor)
Julian Greis (Reverend Parris)
Irene Kugler (Rebecca Nurse)
Oliver Mallison (Thomas Putnam)
Jörg Pohl (John Proctor)
Tim Porath (Giles Corey)
Toini Ruhnke (Mary Warren)
Gabriela Maria Schmeide (Ann Putnam)
Sylvana Seddig (Tituba)
Steffen Siegmund (Ezekiel Cheever)
Rafael Stachowiak (Thomas Danforth)
Annalena Haering (Ruth Putnam)
Fabienne-Deniz Hammer (Betty Parris)
Meryem Öz (Mercy Lewis)
Lilja van der Zwaag (Susanna Wallcott)
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