„Eine Familie“ – der Originaltitel „August: Osage County“ ist pfiffiger – ist ein Stück des US-amerikanischen Autors Tracey Letts. Ursprünglich arbeitete Tracey Letts wie sein Vater Dennis Letts als Schauspieler, dann wechselte er ins Schriftstellerfach und folgte damit seiner Mutter Billie Letts. Beide Eltern waren zudem als Universitätsprofessoren aktiv, sein Vater für Englisch, seine Mutter für Pädagogik. Es gehört nicht viel Fantasie dazu anzunehmen, dass Tracey Letts für die beiden Hauptfiguren seines Stücks seine Eltern zum Vorbild genommen hat. Allerdings tritt der Familienpatriarch Beverly Weston nicht wirklich in Erscheinung, denn das Stück setzt zu einem Zeitpunkt ein, als dieser schon seit fünf Tagen verschwunden ist. Seine Frau Violet macht sich Sorgen und hat ihre Schwester Mattie und ihre Töchter Barbara und Karen herbeigerufen. Eine dritte Tochter, die etwas verplante Ivy, lebt noch im Haus. Bevor Violet die Polizei verständigte, hat sie jedoch erst noch das gemeinsame Schließfach in der Bank geleert, denn das war „so mit Beverly vereinbart“. Die etwas durchtriebene Schwester Mattie erscheint mit ihrem gutmütigen Ehemann Charlie und ihrem Sohn Little Charlie, dem sie einen schweren Minderwertigkeitskomplex anerzogen hat. Die sehr patente Tochter Barbara bringt ihren Mann Bill Fordham, ebenso wie der vermisste Beverly Weston ein Intellektueller, und ihre frühreife Tochter Jean mit.Tochter Karen erscheint erst später, zur Beerdigung, mit ihrem Verlobten Steve Heidebrecht – ein Schürzenjäger, der bald der minderjährigen Tochter von Barbara Avancen macht. Außerdem lebt noch die Indianerin Johnna im Haus, von Beverly Weston nicht nur als „Haushaltshilfe“ eingestellt. Später erscheint auch noch der Sherriff Deon. Er war Barbaras Jugendliebe in der Highschhool.
Wie sich bald herausstellt, ist der früher einmal erfolgreiche Schriftsteller Beverly Weston tot. Er hat sich das Leben genommen, indem er von seinem Boot ins Wasser gesprungen und dort ertrunken ist. Die Familie versammelt sich nach dem Begräbnis zum Leichenschmaus und in den Gesprächen werden bald alle Leichen aus den Kellern an die Oberfläche befördert. Violet trauert ihrer Hippiejugend nach. Mit ihrem Altern kommt sie nicht zurecht. Sie ist tablettensüchtig. Ihrer Tochter Ivy macht sie ständig Vorschriften. Tochter Barabara führt mit ihrem untreuen Mann Bill nur noch eine Scheinehe. In Wirklichkeit leben sie getrennt. Tochter Jean raucht Hasch, baggert den Verlobten ihrer Tante Karen an und guckt am liebsten als Grufty geschminkt im Fernsehen alte Horrorfilme Ivy hat sich in ihren vermeintlichen Vetter „Little Charlie“ verliebt, doch der ist in Wirklichkeit ihr Halbbruder, denn Violets Schwester Mattie wurde einst auch vom Verstorbenen geschwängert. Violet wusste darüber Bescheid, hat aber geschwiegen und sich mit der Situation arrangiert. Barbara versucht die Dinge zu ordnen und zu regeln, scheitert aber an allen Stellen. Mit ihrer Schwester Karen gerät sie in Streit, weil deren Verlobter versucht hat, ihre Tochter Jean zu verführen. Mit Ivy entzweit sie sich, weil sie zu verhindern versucht, dass diese mit ihrem Halbbruder eine Liebesbeziehung unterhält. Im Gegensatz zu Barbara weiß nämlich Ivy nicht, dass ihr Vater auch der Vater von Little Charlie ist. Mit ihrer Mutter kann Barbara auch keinen Frieden schließen. Sie bekämpft deren Tablettensucht, folgt ihrer Mutter aber nicht nur in dieser Hinsicht nach. Ihr Versuch ihre Jugendliebe mit dem Sheriff wieder aufleben zulassen, scheitert an dessen seltsamen Verständnis von Pflichtgefühl. Barbara verlässt als letzte das Haus, ebenso allein wie ihre Mutter, aber nicht willens mit der herrschsüchtigen Alten zusammen zu leben, und lässt diese mit der Indianerin Johnna zurück. Diese fungiert in dem Stück als eine Art Katalysatorin und sorgt dafür, dass die notdürftig zugeschütteten Bruchlinien in den Beziehungen der Figuren aufbrechen.
Das Stück ist besonders durch eine Hollywood-Verfilmung aus dem Jahr 2013 mit Merryl Streep als Violet und Julia Roberts als Barbara auch außerhalb der USA bekannt geworden.
Die Inszenierung am Thalia Theater setzt auf starken Realismus.Während sonst ja gerne auf ein detailliertes Bühnenbild verzichtet wird, ist hier alles bis ins kleinste Detail ausgeführt. Man sieht zwei Etagen eines Hauses, oben Schläfräume, unten Küche, Wohnzimmer, Bad und Treppenhaus. Hier streiten die Familienmitglieder trefflich über alles Mögliche, philosophieren über die Ureinwohner Amerikas oder darüber, ob es Sinn machen, als Vegetarier zu leben, so wie Jean es versucht. Auf der Bühne wird richtig gekocht, so dass man es im Zuschauerraum riecht, es wird gegessen, die Familienmitglieder ziehen sich um, gehen schlafen oder baden in der Badewanne und bestreiten ihren Text notfalls nur mit einem umgewickelten Handtuch, so wie Marina Galic, die die Aufgabe aber souverän löst. Alles ist als so, wie in einer richtigen Familie, die es gewohnt ist, eng zusammen zuleben.
Die Inszenierung von Starregisseurs Antú Romero Nunes ist schlüssig, vielleicht manchmal zu klamaukig für das eigentlich tragische Thema. Es gibt einige nette Einfälle, wenn beispielsweise die ganze Szene im Hintergrund stille hält und der Liebesdialog zwischen Ivy und Little Charlie im Mittelpunkt steht.
Das Bühnenbild (Matthias Koch) ist an der Grenze zum Boulevard einfallsreich und lebendig. Die Kostüme (Gewendoyln Jenkins) sind passend, vom schlecht sitzenden Anzug bis zur Nachtwäsche. Und die Schauspieler sind allesamt in ihrem Element. Karin Neuhäuser brilliert als Violet zwischen Selbstmitleid, Herschsucht und Gleichgültigkeit. Cathérina Seifert als Barbara bietet einen vitalen Kontrapart. Marina Galic ist als selbstzweifeldende Ivy ebenso überzeugend wie Anna Blomeier als selbstgefällige Karen. Und Gabriela Maria Schmeide ist eine überzeugend boshafte Mattie Fae Aiken. Sylvana Seddig schleicht und kriecht als kürzlich geschwängerte Indianerin geschmeidig durch die Szenen. Toini Ruhnke überzeugt als desinteressiertes frühreifes Gör. Auch die Männer, Björn Meyer als Little Charlie, Andreas Leupold als sein Vater Charlie, Felix Knopp als Barbaras Ehemann Bill Fordham, Günter Schaupp mit einem kurzen und stillen Auftritt als Beverly Weston am Anfang und später als Sheriff stehen ihren Mann, spielen aber doch eher nur die zweite Geige. Rafael Stachowiak (Steve Heidebrecht) war an diesem Tag nicht dabei.
Mit 3,5 Stunden ist das Stücke aber einfach zu lang. Eine Stunde weniger hätte dem Spieltempo gut getan. Langweilig war es trotzdem an keiner Stelle, dafür waren die Schauspieler einfach zu gut.
Antworten
Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar abzugeben.