Das jüngste Werk von René Pollesch „Probleme, Probleme, Probleme“ lädt dazu ein, sich einmal wieder mit dem Doppelspaltenexperiment zu befassen. Fünf Frauen, Schauspielerinnen habe einen Sack voller Probleme und lamentieren eine gute Stunde lang darüber. Eine Handlung, im eigentlichen Sinne, gibt es bei Pollesch ja nicht.
Zur Einstimmung wird vor dem Stück ein französischer Chanson gespielt, Revueatmospäre. Die Bühne ist zweigeteilt, in „vor dem Vorhang“ und „hinter dem Vorhang“. Der „Vorhang“ ist auch eher eine Wand in Laubsägeoptik, mit vielen Glühbirnen, erinnert an den Schminkraum eines Theater und ist schon Teil des Bühnebildes. In der rechten und linken Hälfte gibt es zwei Torbögen mit tatsächlichen Vorhängen.
Die Schauspielerinnen treten auf: Sachiko Hara und Bettina Stucky, die bei Pollesch-Aufführungen in Hamburg immer dabei sind, Angela Richter, ebenfalls aus dem Ensemble des Schauspielhauses, Marie Rosa Tietjen, die in Zürich schon öfter bei Stücken von René Pollesch dabei war, und Sophie Rois, gut bekannt durch ihre vielen Kino-und TV-Rollen.
Die fünf Schauspielerinnen erscheinen praktisch gleichzeitig auf der Bühne, kommen in zwei Gruppen durch die beiden Vorhänge und sprechen auch den gleichen Text. Recht schnell wird ihnen klar, dass es sich hier um eine „Doppelvorstellung“ handeln muss, wobei sich darüber wundern, dass diese gleichzeitig stattfindet. Sonst ist es ja üblich, die anstrengenden Doppelvorstellungen nacheinander aufzuführen, keinesfalls gleichzeitig. Hier gibt es aber offenbar zwei Bühnen auf der Bühne. Bald wird auch die Parallele zum Zweispaltenexperiment hergestellt und über Werner Heisenberg und Niels Bohr resümiert.
Der Doppelspaltenversuch wurde 1802 von Thomas Young erstmals mit Licht durchgeführt. Zwei kohärente Lichtwellen werden dabei parallel liegende Spalten geschickt. Durch Beugung entsteht eine Interferenz. Später wurde der Versuch auch mit Teilchen durchgeführt und diente in der Quantenphysik dazu, den Wellen-Teilchen-Dualismus des Lichts zu demonstrieren.
Eine Teilchen verhält sich anders, so eine Erkenntnis aus der Quantenphysik, wenn es gemessen wird, und ein Schauspieler ist ja ebenfalls ein ganz anderer, je nachdem, ob er auf der Bühne steht und angeschaut wird oder nicht. Stucky: „Gibt es diese Schauspielerin auch, wenn man sie nicht ansieht?“
Die Schauspielerinnen sprechen über Quantenphysik, ihre Rollen in dieser merkwürdigen Doppelaufführung und denken fröhlich plappernd darüber nach, welches Stück hier überhaupt gespielt werden soll. Der Vorhang wird gelüftet und es erscheint eine Kulisse, die zu Shakespeares Sommernachtstraum passen würde, ein Blumengarten. Die Kostüme passen dazu aber nicht dazu, auch nicht zueinander und werden später zudem gewechselt: Angelika Richter im Tüllkleid, Marie Rosa Tietjen im Sheakespeare-Look, Sophie Rois im Harlekin-Kostüme, Sachiko Hara als Schneewittchen aus dem Walt-Disney-Film, Bettina Stucky als der Jäger aus Kurpfalz.
Einige Schauspielerinnen befinden sich zeitweise hinter dem Vorhang, andere davor, und sie reden miteinander, in hohem Tempo und ohne Pausen. Sachiko Hara auch mal auf Japanisch. Über Theater, auch über Beziehungen, über Doppelvorstellungen und Doppelspaltexperimente und über Ursache und Wirkung. Zeit, lange über die Texte nachzudenken, gibt es nicht. Dafür lässt Pollesch gerne wiederholen und dreht und wendet den Inhalt. Bei geschlossenem Vorhang werden die Frauen „hinter dem Vorhang“ überlebensgroß auf eine Leinwand „vor dem Vorhang“ projiziert und Sophie Rois erläutert ausführlich, was sie von dieser Technik hält, nämlich gar nichts: „Videokacke!“ Man spricht über das, was man sieht, und was man nicht sieht und wie man es sieht und was die Zuschauer erst mit Hilfe der Kamera sehen. Die Diskussion über Ästhetik wird gleich im Stück geführt.
Zwischendurch gibt es laute Rockmusik. Sachiko Hara bietet eine starke Tanzeinlage zu Led Zeppelin und später fühlt man sich bei der Musik von Can mit Sachiko Haras Grimassen an ihren Landsmann Damon Suzuki, den Sänger von Can erinnert.
Es gibt also, zusammengefasst, Probleme, und man fragt sich, was die Quantenphysik zu deren Lösung beitragen kann. Oder wie Sophie Rois auf der Bühne bekennt: „Das Theater und die Quantenphysik haben mein Leben geprägt.“
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