Ferenc Molnár (1878-1952), eigentlich Ferenc Neumann, stammte aus einer jüdischen Familie in Budapest. Sein Vater war ein erfolgreicher Arzt, kümmerte sich aber wenig um seine Familie. Cafés und Casinos waren ihm wichtiger. Schon als Schüler begann Molnár mit dem Schreiben und führte mit Freunden sogar einmal ein selbst verfasstes Theaterstück auf. Nach dem Schulabschluss begann er als 17-Jähriger ein Jura-Studium, erst in Budapest, dann in Genf, fand aber schon bald mehr Interesse am Theater und am Schreiben.
Nach einem Aufenthalt in Paris kehrte er 1896 nach Budapest zurück, gab sein Jura-Studium auf, nannte sich nun Ferenc Molnár und betätigte sich als Journalist und Schriftsteller. 1901 erschien sein erster Roman. Sein Stück Liliom, 1909 in ungarischer Sprache erstmals aufgeführt, fiel beim Publikum zunächst durch. Mit der deutschen Übersetzung und Bearbeitung von Alfred Polgar, der das Stück vom Budapester Stadtwäldchen in den Wiener Prater verlegte, erhielt „Liliom“ eine zweite Chance und wurde zum Erfolgsstück.
Liliom ist ein stadtbekannter Frauenheld, der als Ausrufer auf dem Jahrmarkt arbeitet. Mit der Besitzerin des Karussells, Frau Muskat, pflegt er nicht nur geschäftliche Beziehungen. Als Liliom einer jungen Besucherin, Julie Zeller, zu nahe kommt, entlässt die eifersüchtige Frau Muskat ihren Angestellten und ersetzt ihn durch einen anderen. Liliom zieht mit seiner neuen Liebe Julie zusammen, verdient aber kein Geld mehr. Aus Frust zieht er mit Freunden um die Ecken. Wenn er mal zuhause ist, schlägt er seine Frau. Doch Julie liebt Liliom und verzeiht ihm seine Eskapaden. Als Liliom erfährt, dass Julie schwanger ist, lässt er sich von seinem Saufkumpan, dem Gauner Ficsur zu einem Raubüberfall überreden, um mit dem Geld seine Familie zu versorgen und vielleicht sogar nach Amerika auszuwandern, wo „alles besser ist“. Julie erfährt von dem geplanten Überfall und zeigt Liliom bei der Polizei an. Der Raubmord an einem jüdischen Geldboten wird verhindert. Liliom bringt sich daraufhin um. 16 Jahre später, die Zeit hat er im Fegefeuer verbracht, kehrt Liliom noch einmal auf die Erde zurück. Er beobachtet seine Familie, die ohne ihn leben muss. Seine Taten von damals bereut er jedoch nicht.
Der ungarische Regisseur Kornél Mundruczó hat Molnárs Liliom in einer Koproduktion mit den Salzburger Festspielen für das Thalia-Theater inszeniert und das Stück ein wenig gegen den Strich gebürstet. Sein Liliom, gespielt von Jan Pohl, ist kein eindimensionaler Prolet. Und seine Julie ist auch kein unerfahrenes Dienstmädchen, das unbedarft geschwängert wurde. Das Stück beginnt mit einem Vorspiel vor dem noch geschlossenen Vorhang, hier ein Metalltor, anfangs „Safe Place“ genannt, irgendwo in einer Zwischenwelt. Liliom ist schon gestorben und begehrt Einlass in den Himmel, soll dafür aber zum wiederholten Mal komplizierte Formulare ausfüllen. Ein achtköpfiges Geschworenengremium (angeführt von Julian Greis) konfrontiert die in klassischen Rollenmustern denkende Theaterfigur Liliom mit den heutzutage üblichen politisch korrekten Erscheinungsformen und Auffassungen und fordert Umdenken und Reue. Lilioms Geschichte wird nun in Rückblicken erzählt.
Kornél Mundruczó der neben seinen Theaterarbeiten auch eine Reihe von Kurzfilmen schuf, hat tief in die Trickkiste der Regiekunst gegriffen. Nachdem der Vorhang gelüftet wurde, sehen die Zuschauer zwei Roboterarme, rechts und links auf der Bühne. Maschinelle Schauspieler also, mit sehr präzisen Bewegungen. Die Maschinen ziehen zu Beginn des Stückes Bäume aus der Kulisse und bauen damit das Budapester Stadtwäldchen auf, in dem Julie und Liliom ihre erste Liebesnacht erleben werden. Als es dann romantisch wird, zieht einer der Roboterarme auch den passenden Vollmond hervor und sorgt damit für einen komischen Moment. Zum Ende des Stückes sind es auch die Roboter, die schicksalhaft den Sarg für Liliom öffnen.
Der Mittelteil des Stückes wird zum großen Teil auf einer Leinwand erzählt (die von einem der Roboterarme gehalten wird). Julie und Liliom leben im Haus einer Verwandten von Liliom, der Fotografin Frau Hollunder (Sandra Flubacher). Julies Gespräch mit ihrer Freundin Marie (Yohanna Schwertfeger) über ihr Zusammenleben mit Liliom wird live aus den Räumen eines kleinen Sperrholzhaus, das auf der Bühne steht, auf die Leinwand übertragen. Ebenso der laszive Versuch von Frau Muskat (Oda Thormeyer), ihren Geliebten Liliom zurückzuholen. Theater und Kino vermischen sich. Eine starke Szene ist der Freudentanz, eine Art Wasserballet, von Liliom und dem Gauner Ficsur (Tilo Werner), in einem Planschbecken auf herbstlicher Bühne. Die beiden Männer feiern auf diese Weise ihren schönen Plan zum Raubmord und den kommenden Geldsegen.
Zwischen den Szenen muss Liliom sich draußen vor der Bühne vor dem Engelschor rechtfertigen und für seine unpassenden Taten Buße tun, zum Beispiel 100 mal den Satz „Ich bin Teil des repressiven Patriachats “ an die Wand schreiben. Auch am Ende des Stückes steht er wieder vor dem Engelschor und wird auf die Erde zurückgeschickt. Seine Tochter Luise, gespielt von einer Schauspielerin mit Down-Syndrom, (alternierend Lisa Zoe Meier und Paula Karoline Stolze), nähert sich dem für sie Fremden ohne Scheu und erzählt von ihrem angeblich in Amerika verstorbenen Vater. Die gewünschte Läuterung von Liliom findet jedoch nicht statt.
Jörg Pohl als Liliom und Marie Schöne als Julie drücken dem Spiel eindrucksvoll ihren Stempel auf. Jörg Pohl ist vielleicht etwas zu smart für den Proleten Liliom, verleihtihm aber einige Facetten verleiht. Marie Schöne schafft auf beeindruckende Weise den Spagat zwischen dem sexuell erwachenden und neugierigen jungen Mädchen und der lebenstüchtigen werdenden Mutter. Die Darsteller, auch die beiden Roboter, wurden vom dankbaren Publikum ausgiebig gefeiert.
Liliom von Franz Molnár
Regie: Kornél Mundruczó
Bühne: Monika Pormale
Kostüme: Sophie Klenk-Wulff
Licht: Felice Ross
Live-Kamera: Martin Prinoth
Choreografie: Yohan Stegli
Musik: Xenia Wiener, ChristinaBellingen, Soma Boronkay
Dramaturgie: Kata Wéber.
Darsteller:
Liliom: Jörg Pohl
Julie: Maja Schöne
Frau Muskat: Oda Thormeyer
Marie: Yohanna Schwertfege
Wolf Beifeld, Stadthauptmann: Julian Greis
Ficsur: Tilo Werner
Frau Hollunder: Sandra Flubacher
Luis: Mila Zoe Meier, Paula Karolina Stolz
DerDrechsler, Chor der Engel: James Bleyer,
Der geschlagene Engel, Chor der Engel:
Jens Hoormann
Chor der Engel: Kathrin Klein, François Lallemand, Julia Nordholz, Aref
Weikert, Joelle Westerfeld.
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