Die österreichische Choreographin Florentina Holzinger hat mit ihrer Company den Status eines Geheimtipps längt hinter sich gelassen und ist auch regelmäßiger Gast bei den Sommerfestivals der Hamburger Kulturfabrik Kampnagel. 2022 war ihr Stück Divine Comedy, die „Göttliche Komödie“ nach Alighieri Dante der Höhepunkt zum Ausklang des Festivals und wurde an drei Tagen hintereinander aufgeführt.
Mit Dantes Vorlage hat Holzingers „Divine Comedy“ nicht allzu viel zu tun, aber Anklänge gibt es schon und auch Dantes Stationen lassen sich im Laufe der zweistündigen Vorführung erkennen. Kenner des Werkes werden vielleicht noch mehr Anknüpfungspunkte erkannt haben.
Im Übrigen macht Florentine Holzinger und ihre Truppe aber das, was sie immer machen – ausloten, wie weit man auf einer Theaterbühne mit Tabubrüchen gehen kann.
Holzinger „Divine Comedy“ beginnt zur Verwirrung des Publikums mit einem Vorspiel vor dem geschlossenen Vorhang, bei dem eine Conférencieuse mit angeblichen Zuschauerinnen aus dem Publikum per Hypnose Schabernack treibt. Am Ende wird einer der Frauen glauben gemacht, sie sei Dante. Der Vorhang öffnet sich und „Dante“ entledigt sich nach dem Betreten der Bühne ihrer Kleidung. Bei allen Stücken von Flo Holzinger herrscht eine strenge Kleiderordnung. Nacktheit ist für alle Frauen auf der Bühne – gibt dort immer nur Frauen – unbedingt Pflicht.
Dann nimmt das Stück rasch Fahrt auf, anfangs mit Klamauk. Dante möchte eine Toilette aufsuchen, doch die drei überdimensionierten Dixie-Klos entziehen sich dem Zugang durch Flucht. Ein alt gewordene Tänzerin, Dantes Beatrice, wird im Rollstuhl auf die Bühne und berichtet, dass sie sich auf ihren Tod vorbereitet. Ihren zweiten Tod, den ersten starb sie, als sie ihre Karriere beenden musste.
Nun wird es bald brachial. Vier Frauen üben sich im Hürdenlauf, rennen die Hürden überspringend auf die Zuschauer zu, gehen zurück zu ihrem Startpunkt, warten auf den Startschuss und der Wettlauf beginnt von vorne. Wieder und wieder. Jede Kunst, jede Fähigkeit ist das Ergebnis stumpfen Übens. Später werfen sich Frauen unzählige Male eine Treppe hinunter, während eine Motorradfahrerin gefährlich schnell und gefährlich nah zwischen den Tänzerinnen und den „Stiegenfallerinnen“ hindurch fährt. Körpererfahrung, Schmerz und Gefahr treffen unmittelbar zusammen. Bei dröhnender Musik tragen Frauen Holzblöcke herein, stellen sich darauf und zerhacken sie mit schweren Äxten. Auf ihre Rücken sind Skelette gebunden und gemahnen an den Tod, der überall lauern kann.
Der zweite Teil der Performance wird als „more contemporary vorgestellt. Einer Tänzerin wird auf der Bühne Blut entnommen und danach läutern sich die Körper der Frauen in einem Fluss aus (Kuns-)Blut und Farben, bei Dante ist es der Paradiesfluss Lethe.
Maschinen spielen bei Florentine Holzinger Shows eine große Rolle, meist an Orten, wo sie nicht hingehören. In Divine Comedy hängen zwei Autos vom Bühnenhimmel herunter, darin zwei tote Fahrerinnen.
Der Tod ist allgegenwärtig. In einem Interview hat Florentine Holzinger von ihrer Höhenangst berichtet, an der sie vielleicht die Zuschauer teilhaben lassen möchte. Zwei Frauen lassen sich an einem Seil kopfüber in die Höhe ziehen. Und gegen Ende der Aufführung wird ein Flügel senkrecht gestellt und ebenfalls in die Höhe gezogen, zusammen mit dem Stuhl auf dem die Pianistin, nun um 90 Grad gedreht, nicht mehr sitzt, sondern liegt.
Zwischendurch gibt es circensische und humoreske Einlagen, mit überlebensgroßem tanzenden Gerippen zum Beispiel.
Florentine Holzinger, die nicht nur Choreographin ihrer Stücke, sondern auch immer Protagonistin ist, bezeichnete sich selber gelegentlich als Theater-Scharlatan. Man kann als Zuschauer tatsächlich den Eindruck bekommen, dass hier eine Selbsterfahrungsgruppe von weiblichen Adrenalin-Junkies auslotet, was sie sich selber und dann auch den Zuschauern zumuten kann. Auch in Devine Comedy werden so manche Grenzen gesprengt und Tabubrüche vollzogen. Das Hamburger Publikum war hartgesotten und vielleicht auch durch viele Holzinger-Aufführungen auf den Kampnagel-Sommerfestivals visuell und emotional gestählt. Einige wenige verließen zwar nach den ersten Schockmomenten den Raum, aber die übrigen erfreuten sich an den permanenten Grenzüberschreitungen. Ein großer Spaß, aber nur für Erwachsene.